Lob der Provinz. Die Kunst im Rheinland seit den sechziger Jahren (2010)

Klaus Honnef – Vortrag: LVR LandesMuseum Bonn, 21.10.2010
Symposium: Avantgarden im Rheinland. Bonn, 21.-23.10.2010

Als anno 1974 im Kunstbetrieb ruchbar wurde, dass ich nach Bonn gehen würde, schlug mir allgemeines Bedauern entgegen. Bonn sei zwar Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, wenn auch nur eine „provisorische“, aber tiefste Provinz, hieß es. Hatte hier nicht kurz zuvor ein Schwachkopf mit einem Schrotgewehr auf eine Stahlskulptur von Erich Hauser geschossen, weil er sich über ihre Aufstellung empörte? Die Politik schien die Sache auch nicht in günstigeres Licht zu tauchen. Zumal sie vornehme Distanz namentlich zur avancierten Kunst hielt, die man damals im Wahrnehmungsfenster der Avantgarde und des politischen Protestes betrachtete. Noch rissen sich Politiker aller Couleur und Funktion nicht darum, in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst als Eröffnungsredner aufzutreten und mit fremd verfertigten Reden zu prunken. Dabei kam ich aus Münster und war zuvor in Aachen tätig gewesen. Eigentlich keine ausgesprochenen Kunstmetropolen, sollte man meinen.
In Wirklichkeit verhielt es sich anders.

Auch Bonn war erheblich besser als sein Ruf. Denn das Fundament für das Phänomen einer deutschen Kunst, die sich zwanzig Jahre später internationaler Anerkennung erfreuen sollte und inzwischen als Markenzeichen im kommerziellen Kunstbetrieb gehandelt wird, schuf die so genannte Provinz. Als Pfeiler fungierten ein paar private Galerien, Kunstvereine und Museen in Krefeld, Wuppertal, Mönchengladbach, Aachen, Bonn, Leverkusen, Essen und Münster. Düsseldorf galt zwar mit der Akademie, einer Werkstatt des Neuen und Ungewöhnlichen, der vor kurzem eröffneten Kunsthalle, dem Kunstverein und seinen privaten Galerien als eine Art Zentrum der noch schütteren Kunstszene. Doch den Blick für die elementaren Veränderungen, die sich innerhalb der Kunst vollzogen und zugleich das Ende der Avantgarde signalisierten, für die Vehemenz eines künstlerischen Aufbruchs, hatten lediglich ein paar risikofreudige Kunsthändler, deren Künstler Kunstvereine und Museen in der Provinz die öffentliche Anerkennung verschafften. Kunsthalle und Kunstverein in Düsseldorf beschränkten sich auf eine abwartende Position. Nicht, dass sie quer lagen wie die Museen in Köln oder München, Frankfurt oder Hamburg, von Berlin West wie Ost ganz zu schweigen. Gleichwohl galt die Neigung ihrer Direktoren hauptsächlich den Künstlern und wenigen Künstlerinnen der „kanonischen Avantgarde“ sowie ihren Nachfolgern in der zwischen Kontinuität und Neubeginn schwankenden Nachkriegszeit. Das war nicht ohne Mut. Denn noch immer hatte das Stigma „entartete Kunst“ im bürgerlichen Kunstpublikum einen guten Klang, wenn missliebige Kunstereignisse apostrophiert wurden. Das Wort von „Ratten“ und „Schmeißfliegen“ für Intellektuelle und Künstler, das Spitzenpolitiker in Umlauf brachten, haftete frisch im Gedächtnis der Betroffenen.

Dennoch erhielten die vorwiegend jungen und selbst nach Maßgabe der Kunst der Avantgarde unkonventionellen Künstler in den Kunstvereinen und Museen anderer Städte eher ihre ersten repräsentativen Einzelausstellungen als am Ort der Staatlichen Kunstakademie. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Yves Klein und Jan Dibbets in Krefeld, Joseph Beuys, Carl Andre und Hanne Darboven in Mönchengladbach, Gerhard Richter und Lawrence Weiner in Aachen. Dort hatte sich im Übrigen schon Mitte der sechziger Jahre in einem Hinterhof ein Ort für die ephemeren Künste wie Happening und Performance etabliert. Wuppertal war die Quelle für Fluxus. In Münster erprobte Sigmar Polke erstmals seine Kunst in der musealen Sphäre eines Kunstvereins, gemeinsam mit Achim Duchow; ebenso wie vor ihm Reiner Ruthenbeck und nach ihm Jörg Immendorff und Christian Boltanski. Rosemarie Trockel startete wie Isa Genzken in Bonn ihre Weltkarriere. Und in Bonn wurde mit der Ausstellung „In Deutschland“ laut Peter Galassi vom New Yorker Museum of Modern Art auch der Siegeszug der Fotografie in der zeitgenössischen Kunst eingeläutet. In dieser Ausstellung hatte die später nachgerade berühmte „Becher-Schule“ ihren ersten Auftritt. Die knappe Auswahl ist nicht annähernd vollständig.

Bereits in den als muffig verschrienen fünfziger Jahren kam es in der Kunsthalle Recklinghausen anlässlich der Ruhrfestspiele zur brisanten Begegnung von Kühlschrank und moderner Skulptur, und das Museum in Leverkusen entwickelte sich zu einem Dorado für provokante thematische Ausstellungen, nachdem es anfangs der siebziger Jahre auf Initiative eines Düsseldorfer Kunsthändlers erstmals auf der Welt das Phänomen der konzeptuellen Kunst unter dem Titel „Conception – Konzeption“ (1969) umfassend beleuchtet hatte. Es waren die Museen in Krefeld und Essen, die jene seinerzeit alle gängigen Vorstellungen von Kunst umwälzenden Ausstellungen zeigten: nämlich Harald Szeemanns „When Attitudes become Form“ und Wim Beerens „Op losse schroeven“ (1969). Um mit einem letzten signifikanten Detail dieses kursorischen Ausflugs in die Provinz des Westens Deutschlands zu enden: Im beschaulichen Monschau fand vor vierzig Jahren die erste große Außenkunst-Ausstellung mit der Teilnahme von Dibbets und Weiner, Klaus Rinke und Günter Uecker, Daniel Buren und Michael Buthe oder Timm Ullrichs und vielen anderen unter dem Motto „Umwelt-Akzente“ statt und versetzte Stadt und Bevölkerung in Aufruhr. Was die Verantwortlichen nicht daran hinderte, im Jahr darauf Christo und Jeanne-Claude einzuladen, die Monschauer Burg zu verhüllen. Insofern muss ich Jürgen Hartens instruktiven Bericht im Katalogbuch „Der Westen leuchtet“ zumindest für die Jahre des Umbruchs von 1965 bis 1980 ergänzen und auch die Pointen manchmal anders setzen.

Zunächst gilt es jedoch, sich einer naheliegenden Frage zu stellen. Wo liegen die Gründe für die erstaunliche Aufgeschlossenheit der Menschen in den kleineren Städten nicht nur Nordrhein-Westfalens gerade während dieser dramatischen Jahre? Niemand hat die Frage meines Wissens bisher systematisch und mit der notwendigen Gründlichkeit untersucht, und selbst fundierte Darstellungen einzelner Aspekte sind selten. Vielleicht verbirgt sich dahinter auch ein symptomatischer Zug nach der Devise: Provinz ist Provinz. Offenbar spiegelt sich der metropolenfixierte Blick angesichts der Entwicklung der Welt zum „globalen Dorf“ im eurozentrischen Blick der westlichen Kultur. Ist letzterer indes im Zuge der Kommerzialisierung der Kunst gegenstandlos geworden, erfreut sich die abschätzige Sicht auf die Provinz unverminderter Beliebtheit. Doch das wissenschaftliche Desiderat hat noch weitere Ursachen.

Es war nur eine überschaubare Minderheit von Händlern, Kunstvereins- und Museumsdirektoren, Kritikern und Kunstinteressierten, die sich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für die herausfordernden Erscheinungen einer avancierten Kunst engagierten. Als „avanciert“ bezeichne ich im Sinne Theodor W. Adornos allein solche künstlerischen Bestrebungen, die sich allen einigermaßen fixierten Vorstellungen von Kunst verweigerten, auch denen der kanonischen Avantgarde. Entsprechend spärlich war der Zuspruch. Ich kann mich der Welt-Premiere der Ausstellung „This Way Brouwn“ von Stanley Brouwn im alten Mönchengladbacher Museum an der Bismarckstraße entsinnen, zu der sechs oder acht Personen erschienen waren, Museumsdirektor inklusive. Seine Frau hatte die Aufgabe der Restauration übernommen und bot von einem Gläserkranz den Anwesenden Altbier an. Neben dem Künstler und seiner Frau waren sein Kunsthändler samt Frau erschienen, wahrscheinlich auch ein Sammlerpaar aus dem benachbarten Krefeld, und ein Kunstkritiker mit Freundin, einer Künstlerin. Kein Sonderfall, sondern die Regel. Die rund 5000 Quadratmeter umfassende Ausstellung von Hanne Darboven 1971 in Münster hatte ausweislich der Zählung knapp tausend Besucher. Die studentischen Besucher der Cafeteria eingerechnet. Inzwischen kenne ich die doppelte Anzahl persönlich.

Unbeschadet ihrer durchaus unterschiedlichen Interessen und Perspektiven, verband den Kreis von Aficionados im Westen Deutschlands ein Bündel gemeinsamer Erfahrungen. Viele rührten aus der gemeinsamen Generationszugehörigkeit. Ein paar Jahre zu alt, um zu den berühmt gewordenen 68ern zu gehören, waren sie gleichzeitig ein paar Jahre zu jung, um – von ein paar Ausnahmen abgesehen – zur Generation der Flakhelfer zu zählen. Sie hatten Krieg- und Nachkriegszeit in den prägenden Jahren ihres Heranwachsens erlebt, und etlichen war das Erscheinungsbild des nationalsozialistischen Regimes noch in markanter Erinnerung. Viele waren mit ihrer Familie oder dem Rest, den Regime und Krieg übrig gelassen hatten, aus dem Osten vor der sowjetischen Armee gen Westen geflohen, aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen. Etliche mit Zwischenstopp in, weitere direkt aus der „Sowjetisch besetzten Zone“, wie man den zweiten deutschen Staat bis in die siebziger Jahre offiziell und in Teilen der Presse nannte. Bei ihrer Ankunft im Westen wurden wir nicht mit offenen Armen empfangen.

Das politische, soziale und kulturelle Klima der fünfziger Jahre in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland empfanden die meisten von ihnen als bedrückend. Sie litten an der verbreiteten Doppelmoral, der militanten Prüderie und den häufig stumpfsinnigen Methoden der Ausbildung mit einer Neigung zum Drill. Ungebärdiger Aufstiegeswille befeuerte sie. Die bestehenden Verhältnisse zu verändern, trieb sie an. Revolution war nicht ihr Ziel. Politisch abstinent waren sie aber nicht, im Gegenteil. Sie hielten jedoch Abstand zu den politischen Parteien und Ideologien. Dafür erfüllte sie ein zu starkes Verlangen nach individueller Freiheit. Das weithin negative Image der fünfziger Jahre, das in jüngster Zeit zu Recht wegen seiner Einseitigkeit korrigiert wurde, verdankt sich im Wesentlichen ihren Schilderungen.

Sehnsuchtsvolle Blicke richteten sich zunächst auf die französische Kultur und auf Paris als Geburtsstätte der modernen Kunst, auf die Philosophie der Existentialisten und die Jazz-Keller mit den amerikanischen und französischen Musikern, die inzwischen zu Legenden geworden sind. Doch die spezifisch amerikanische Kultur mit ihrer souveränen Ignoranz gegenüber dem bürgerlichen Alleinvertretungsanspruchs auf kulturelle Legitimität übte im Laufe der Zeit eine immer machtvollere Anziehungskraft aus. Im Jazz, Rock´n Roll, der amerikanische Literatur, dem Genrekino Hollywoods und den kühnen Rhythmen des Abstrakten Expressionismus fanden unsere kulturellen Bedürfnisse einen sinnfälligeren Ausdruck als in den Vorführungen des traditionellen Theaters, den sterilen Konzerten mit einem andächtig auf unbequemen Stühlen angeschweißtem Publikum und den verstaubten Dauerausstellungen der Museen auf stoffverhängten braunen Wänden. Besonders die kleinbürgerliche Attitude der offiziellen Kultur rief wachsenden Widerspruch hervor, und die vorherrschende künstlerische Doktrin mit ihrem sentimentalistischen Qualitätsbegriff waren Gegenstand vielfältiger Attacken. Hatte sie nicht die Verbrechen der Nazi-Zeit bemäntelt?

Tatsächlich manifestierten sich die Proteste gegen die verkrusteten Strukturen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft in der kulturellen Sphäre lange, bevor sie auf die politische übergriffen. Namentlich die Begeisterung für populäre Musik, das Genrekino und die Kriminalromanen Raymond Chandlers, Dashiell Hammetts und Ross MacDonalds auf Kosten von seriöser Literatur, Musik und sonstigen Veranstaltungen sogenannter Hochkultur war Ausdruck des Protestes, samt und sonders vom „Kulturbürgertum“ verachtete Felder der kulturellen Landkarte. Das Schlagwort von der Gegenkultur machte die Runde, ohne dass sich das Profil einer dezidiert alternativen Aussteiger-Kultur im Westen Deutschlands bereits abzeichnete.

Progressiv lautete unsere Losung. Fortschritt war kein negativ konnotierter Begriff, sondern wies den Weg aus dem kulturellen Mief der deutschen Nachkriegszeit. Die Kohorte der Afficionados setzte sich aus beinahe allen sozialen Schichten zusammen. Die meisten waren kleinbürgerlicher und bürgerlicher Herkunft, manche hatten einen handwerklichen Hintergrund, und ein paar stammten aus der Arbeiter- und Facharbeiterschicht. „Die sechziger Jahre“, sagte der kürzliche verstorbene Arthur Penn, mit Filmen wie „Bonnie and Clyde“ ein Leuchtturm des neuen amerikanischen Kinos, „sind eine innere Haltung“.

Dass die sogenannten 68er aus der Studentenschaft das Monopol, den Wandel der deutschen Nachkriegsgesellschaft bewirkt zu haben, für sich beanspruchen, gründet auf purer Behauptung und einer grandiosen Selbstüberschätzung. Die Generation der Kriegskinder war nicht unpolitischer als die 68er, die jene aus Motiven der Differenz rasch als „bürgerlich“ brandmarkten, allerdings nicht so ideologisch vernagelt. Daher geriet sie mit ihnen trotz einiger Sympathie nach dem Scheitern der Revolte in der politischen Sphäre über Kreuz, als die 68er die Kulturszene infiltrierten und am Prinzip der künstlerischen Autonomie rüttelten. Besonders an der Kunst, präziser, an der Sparte, die einst unter Bildender Kunst rubriziert wurde, schieden sich der Geister. Durchaus einig in diesem Punkt mit Adorno verstanden die Künstler, Kunstvermittler und Gefolgsleute der avancierten künstlerischen Tendenzen das radikale Autonomieprinzip der Kunst als politisches Argument. Marcel Duchamp hatte Pablo Picasso als künstlerische Pilotfigur ersetzt. Da sie jeder ideologischen Instrumentalisierung der Kunstwerke dezidiert eine Absage erteilte, war eine strikt autonome Kunst in ihren Augen ungeeignet, eine wünschenswerte Botschaft zu transportieren. Der amerikanische Künstler Dan Flavin höhnte: Wer eine Botschaft habe, solle sich an die Post wenden.

Vor der Folie des kommerzialisierten Kunstbetriebs zu Beginn des 21. Jahrhunderts oder seiner Alternative, des üppig subventionierten künstlerischen Mittelmaßes, muss eine derartige Einstellung wunderlich, ja naiv erscheinen. Umso mehr, als sich die kommerzielle Kunst der Gegenwart auf die avancierten Kunstkonzepte vor einem halben Jahrhundert beruft. Die überwiegende Zahl der Künstler, die heute den Ton angeben und die Umsatzlisten des Kunstmarktes anführen, pflasterte mit den Bausteinen der avancierten Kunst, die mitunter betont anti-kommerziell zugehauen waren, den Weg ihres Erfolges. „Konzeptuell“ ist zum abgegriffenen Modewort geworden, mit dem sich jedes noch so unzulängliche Kunstwerk problemlos rechtfertigen lässt. Die Widersprüche sind eklatant – hatten die 68er letzten Endes recht mit ihren Verdächtigungen bürgerlicher Schwäche?

Die Antwort kann, wie zu erwarten, nicht eindeutig ausfallen. Das schmähende Verdikt „bürgerlich“ ist ebenso inhaltsleer wie der künstlerische Qualitätsbegriff, den die Hochkultur proklamierte. Wer an den Kern der Sache will, was nicht zu verwechseln ist mit einer wie auch immer gearteten „Wahrheit“, stößt allerdings auf eine Schwierigkeit: dem Mangel an belastbaren Dokumenten. Damit bin ich schon bei dem angesprochenen wissenschaftlichen Desiderat.

Was über diese Zeitspanne des Umbruchs in Kunst und Ästhetik zu lesen ist, fußt in der Regel auf den persönlich eingefärbten Erinnerungen der Akteure – also auch denen Ihres aktuellen Redners. Sie sind entsprechend subjektiv gefiltert. Obendrein auf Büchern, die entweder diese Erinnerungen mit jeweils authentischem Material versorgt haben oder wiederum Bücher zitieren, die in souveräner Missachtung des Quellenmaterials verfasst wurden. Jeder sollte allerdings wissen, welche Streiche einem das Gedächtnis spielen kann. Erinnerungen sind wichtig, aber frag-würdig.

Die eigentliche künstlerische Diskussion fand in diesen Jahren des Auf- und Umbruchs in Deutschland auf den Seiten der Feuilletons vieler überregionaler, aber auch regionaler Tageszeitungen statt. Eine kleine Reihe von engagierten Kunstkritikern und Kunstredakteuren eröffneten den Künstlerinnen und Künstlern, den Ausstellungen der privaten Galerien und der Kunstvereine und wagemutigen Museen eine Öffentlichkeit, deren Ausmaß im krassen Gegensatz zum Umfang der wirklich an diesen Erscheinungen zeitgenössischer Kunst Interessierten stand. Neben den Kunsthändlern haben die Kunstkritiker entscheidend dazu beigetragen, dass Beuys und Richter, Polke und Palermo, Darboven und Rinke, Katharina Sieverding und Jügen Klauke, Imi Knoebel und Ulrich Rückriem sowie Anna und Bernhard Blume in den Orbit der internationalen Reputation gelangten. Solo-Ausstellungen deutscher Künstler in den renommiertesten Galerien New Yorks, von den Museen ganz zu schweigen, waren anfangs der siebziger Jahre undenkbar.

Die Kulturseiten der „Frankfurter Allgemeinen“ unter der beherzten Kunstredakteurin Eva Maria Demisch, in denen Georg Jappe, Laszlo Glozer, Hans Strelow und Hans Peter Riese Ende der sechziger Jahre über Kunstphänomene zu schreiben anfingen, die sonst allenfalls unter „Vermischtes“ berücksichtigt wurden; das Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“, zu der Glozer alsbald wechselte; der NRZ in Essen, bei der Heiner Stachelhaus sich für die neuen Tendenzen stark machte; des „Mittag“, in dem John Anthony Thwaites seine bisweilen giftigen Kritiken publizierte, solange die Zeitung existierte; der „Aachener Nachrichten“, das ich von 1965 - 1970 verantwortete – diese und einige andere Blätter waren aufgeschlossener für avancierte Kunstbestrebungen als die etablierten Kunstzeitschriften wie „Das Kunstwerk“, das der klassischen Moderne anhing, „Die Kunst und das schöne Heim“ oder die „Weltkunst“. Erst mit Hans Alexander Baiers „Magazin Kunst“ änderte sich die Situation auf dem Gebiet der Fachzeitschriften. Ohne Georg Jappe und Heiner Stachelhaus wäre Beuys in der Öffentlichkeit womöglich nie ernst genommen worden. Nur wer sich der Mühe unterzieht, in den Zeitungsarchiven die Presse dieser Jahre zu mustern, bekommt einen Eindruck von der Intensität und Argumentationsfülle der Auseinandersetzungen. Der „Spiegel“ beschränkte sich auf Häme, ehe Jürgen Hohmeyer und Karlheinz Schmid vorsichtig das Spektrum erweiterten, und die „Zeit“ brauchte ihre Zeit, um sich der konservativen Schlacken ihrer Urgründe zu entledigen.

Der unbedingte Einsatz für die avancierten Tendenzen der Kunst war freilich nicht ohne Risiko. Wenigstens zwei der Redakteure oder Kritiker wurden deswegen gefeuert. Einer ausdrücklich mit der Begründung seines scheinbar überzogenen Engagements für zeitgenössische Kunst. Nur selten findet sich in den wissenschaftlichen Darstellungen der avancierten „West-Kunst“ ein Echo des Tagegeschäfts der seinerzeitigen Kunstkritik, obwohl sie Maßstäbe des ästhetischen Urteils gesetzt hat, die, mit Kant und Hegel oder den französischen Meisterdenkern aufgemotzt, nach wie vor in Geltung sind.

Eben so wenig bekannt sind die schmalen Kataloge, die, wenn überhaupt, die Ausstellungen in Kunstvereinen und in den privaten Galerien begleiteten. In wissenschaftlichen Bibliotheken sind sie so gut wie nicht zu finden. Vor allem die Kunstvereine und die Museen, die sich den Künsten des „Nouveau realisme“, der Antiform oder der „Kunst im Kopf“ – um die damals geläufigen Bezeichnungen zu verwenden – widmeten, haben stets Wert auf Publikationen gelegt. Aus Kostengründen meist in Broschur, dafür mit informativen statt pseudo-theoretischen Texten versehen. Beispielhaft seien die Katalogobjekte des Museums in Mönchenglabdach von Johannes Cladders genannt und die quadratischen Kataloge des Zentrums für aktuelle Kunst in Aachen mit dem programmatischen Titel „Gegenverkehr“. Sie hatten niedrige Auflagen und waren mitunter so dünn, dass sie verständlicherweise verloren gingen.

Da diese Quellen bislang selten oder nicht angezapft wurden, ist auch das Bild, das vom internationalen Aufbruch der deutschen Nachkriegskunst im Schwange ist, nicht nur unvollständig und schief, sondern entscheidende Merkmale und Zusammenhänge fehlen. Die großzügig ignorierten Quellen liefern signifikante Einsichten, klären über Motive auf, können Widersprüche lösen und entbehren obendrein nicht einer gewissen Pikanterie. Das bizarrste Moment ist wohl die denkwürdige Allianz von avancierter Kunst, „progressivem“ Kunsthandel, engagierter Kunstkritik, aufgeschlossener Museumsszene und risikofreudigen Privatsammlern. Diese zeitgebundene Koalition wandte sich gegen die Vorstellungen der spätbürgerlichen Kulturgesellschaft und die fast geschlossene Front der großen Museen, die mit Ankäufen zeitgenössischer Kunst geizten und das Treiben der Happening-Akteure, der De-Collagisten und Akkumulateure, der Prozess- und Konzept-Künstler sowie der Performer mit Skepsis oder Ablehnung beäugten. Besonders in den Museen herrschte der Geist der Kontinuität. Darüber hinaus mussten die noch eine schlimme Scharte auswetzen. Sie suchten die Werke der diffamierten Künstler, die sie in der Nazizeit auf höheres Geheiß ausgesondert hatten, zurückzukaufen. In punkto Erwerb zeitgenössischer Kunst hat Gert von der Osten, der Generaldirektor der Kölner Museen, die Richtung gewiesen: Sammler geh´Du voran! Im Retoblick durchaus keine unvernünftige Haltung, die vieles Unerhebliche aus den Museumssammlungen fern gehalten hätte. Wir hatten dafür indes nicht das geringste Verständnis.

Nicht von ungefähr schlossen sich 1966 achtzehn Galerien zu einem Verein zusammen. Einziger Zweck, zeitgenössische Kunst zu befördern. Der „Verein progressiver deutscher Kunsthändler“ veranstaltete im Herbst 1967 den ersten „Kölner Kunstmarkt“, die Mutter aller Kunstmessen, und das Produkt widersprüchlicher Interessen. Mit zeitgenössischer Kunst waren weder Lorbeeren zu ernten noch kommerzielle Erfolge zu feiern. Die überwiegende Mehrzahl der in den Galerien vertretenen Künstler begriff ihre Arbeit obendrein als nicht-kommerziell. Gemälde mit plakativen Bild-Motiven aus Werbung, Pin-ups und alten Comics, Skulpturen aus wertlosen Materialien, Ideenskizzen auf fliegenden Blättern und die in jeder Beziehung bescheidenen Fotografien von irgendwo vollzogenen Handlungen mit künstlerischem Anspruch unterstrichen ihre Überzeugung. Die bizarre Allianz von Künstlern, Händlern, Kritikern und offiziellen Vermittlern, Geschäftsführern oder Direktoren der Kunstvereine und kleineren Museen, – Kuratoren waren nur in den USA bekannt – beruhte ausschließlich auf der gemeinsamen Leidenschaft für die unmittelbar zeitgenössische Kunst.

Dass Bilder und Plastiken der Pop Art und des Hard Edge die Erinnerung an den ersten Kunstmarkt im Kölner Gürzenich prägen, könnte meine Feststellung, die ausgestellte Kunst sei nicht-kommerziell orientiert gewesen, dementieren. Das ist nicht der Fall. Denn die Bilder der Pop Art wirkten auf das Gros des Publikums, ob Parteigänger der kanonischen Moderne oder kunstferne Öffentlichkeit, wie der berühmte Schlag ins Gesicht. Obwohl sie sich mit Gegenständen beschäftigten, die offen kommerziellen Charakter hatten, reüssierten die Werke der Pop Art erst einmal weder in den USA noch in Europa. Ein Satz von Peter Ludwig, geäußert in einer Diskussion des Aachener Grenzlandtheaters über die kulturelle Tristesse der Kaiserstadt, wirft ein scharfes Licht auf den Stand der künstlerischen Dinge in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre: „Pop Art ist schlimmer als Nazikunst“. Wenig später, im Januar 1968 (!) wird sich derselbe Mann vom künstlerischen Saulus in einen Paulus verwandeln. Kein Wunder, dass die kritischen Geister des spät-bürgerlichen noch winzigen Kunstbetriebs in der Pop Art begeistert jenen Wirbelsturm begrüßten, der die routinierten Seelen-Ergüsse eines epigonalen Informel von den Wänden der fortschrittlicheren unter den Kunstmuseen und Galerien fegen sollte. Für zahlreiche Künstler – Richter, Polke und Konrad Lueg seien als Beispiele erwähnt –, für einzelne private Sammler, Kritiker und Ausstellungsmacher hatte Pop Art den Effekt eines Befreiungsschlags. In Aachen freilich, wo Ludwig seit seiner legendären Reise nach New York im Januar 1968 Pop Art en gros einkaufte, ließen die Verantwortlichen des Suermondt-Museums die Transportkisten aus dem fernen Amerika ungeöffnet im Kellermagazin verschwinden, bis die Kölner mit dem gewitzten kommunalen Kulturpolitiker Kurt Hackenberg und dem bereits zitierten von der Osten an der Spitze die besten Stück der privaten Sammlungen in ihr Wallraf-Richartz-Museum lotsten: Sammler geh´ Du voran!

Auch wenn die Verbindungen zwischen Pop und den Aktions-Künsten in der Bundesrepublik nicht so eng waren wie in New York – die allmählich wachsende Resonanz einer Kunst im „Jargon der Straße“, wie der britische Kurator und Kritiker Lawrence Alloway formulierte, erfüllte auch am Rhein die Funktion eines Eisbrechers für die avancierten künstlerischen Bestrebungen, gleichsam einer zweiten Avantgarde. Als das Museum in Mönchengladbach nach dessen Ausstellung in der Düsseldorfer Galerie Alfred Schmela die Werke von Beuys zeigte, war das öffentliche Echo groß. Die Feuilletons berichteten ausführlich, die bunten Seiten ebenfalls. Der Rundfunk und das Fernsehen, die in der Kunst noch nicht das Spektakel im Visier hatten, mischten kräftig mit. Kritiker wie Hanno Reuther, der auch für die „Frankfurter Rundschau“ und das „Magazin Kunst“ schrieb, Rolf Wiesselmann, Bernd Rohe und Wibke von Bonin vom WDR stellten im Chor mit der Presse einen Resonanzraum her, welcher der tatsächlichen öffentlichen Meinung nicht entsprach. Das gleiche trifft für ihre Reaktion auf die Ausstellungen avancierter Kunst in den Galerien, den Kunstvereinen und Museen zu.

Davon profitierte der neugegründete Kunstverein „Gegenverkehr“ in Aachen ebenso wie der weit ältere Westfälische Kunstverein in Münster, die Museen in Krefeld mit Paul Wember als Direktor, Mönchengladbach mit Cladders als Chef und Schloss Morsbroich in Leverkusen unter Udo Kultermann und besonders Rolf Wedewer. In den Jahren zwischen 1968 und 1974 waren sie mit den privaten Galerien die Laboratorien des Neuen. Es steht außer Frage, dass die Kunstkritik die oppositionellen Kräfte schwächte und den Kreis der Aficionados langsam, aber stetig vergrößerte. Später kam zu den genannten Institutionen durch Wulf Herzogenrath der Kölnische Kunstverein hinzu. In Bonn war es, abermals um einige Jahre versetzt, dank Dorothea von Stetten und in ihrer Nachfolgerin Margarete Jochimsen der Bonner Kunstverein sowie das Kunstmuseum in der Rathausgasse, an dem Dierk Stemmler nicht nur ausstellte, sondern frühzeitig sammelte. Zum Schluss suchte auch das Rheinische Landesmuseum Bonn Anschluss, das als erstes deutsches Museum in seinem Neubau eine inzwischen abgerissene Halle für wechselnde Ausstellungen vorgesehen hatte. Gewichtigen Anteil an der entgegen landläufigen Gerüchten ziemlich inspirierenden Situation in der provisorischen Bundeshauptstadt hatten die Galerien von Erhard Klein und Philomene Magers. Sie lieferten die Plattform für jene Künstlerinnen und Künstler, die Fotografie, Video und Film als künstlerische Medien entdeckten und adaptierten wie Polke, Klauke, die Blumes, Sieverding, Ulrike Rosenbach oder Rosemarie Trockel. Gemessen an Bonn war Berlin tiefe Provinz. In Aachen etablierte sich aus den Beständen der Sammlung Ludwig, die nicht nach Köln wanderten, das Ludwig Museum im Alten Kurhaus, das Wolfgang Becker kundig leitete.

Die Medien lieferten den notwendigen Rückenwind, um der avancierten Kunst zu einer ausgesprochenen Erfolgsstory zu verhelfen. In Monschau erlebte die Außenkunst-Ausstellung „Umwelt-Akzente“ im Frühjahr 1970, die nur einen Etat von 20.000 bis 30.000 DM hatte, einen Presseansturm wie die „documenta“ in Kassel. Die inländischen Tages- und Wochenzeitungen hatten ihre Journalisten und Kritiker in die Eifel entsandt. Die ausländischen nicht minder, bis hin zur „New York Harald Tribune“ – wie sie noch hieß –, die dem Unternehmen fast eine ganze Zeitungsseite einräumte, und in der „Zeit“ kommentierte der Chefredakteur selber.

Demgegenüber reagierte das Kunst-Publikum auf die ungewöhnlichen Kunstereignisse zögerlich oder wie in Monschau aggressiv. Als Ausstellungsmacher kannte man seine paar Besucher mit Namen. Deshalb kann es nicht überraschen, dass unter den Gegnern dieser bisher letzten Manifestationen einer künstlerischen Risikoexpedition allerhand Verschwörungstheorien kursierten. In der Tat schienen die fließenden Grenzen zwischen Künstlern, Kunsthändlern, öffentlichen Ausstellungsmachern, Kritikern sowie vereinzelten Sammler derlei Ansichten zu nähren. Und es ist auch etwas dran, weil sich alle in ihrem Enthusiasmus für die neuen Kunsttendenzen einig waren und mit gebotenem Elan und sämtlichen ihnen verfügbaren, nicht einmal unbeträchtlichen Mitteln für sie einsetzten. Koalitionen auf Zeit waren üblich, Freundschaften möglich, und da die Szene in der Kunstwelt wirklich überschaubar war, kannte man sich. Ob der „Ratinger Hof“ oder die „Uehl“ in Düsseldorf, wo fast ständig Künstler, Sammler oder Kritiker aus der gesamten westlichen Welt anzutreffen waren, oder „Max´s Kansas City Bar“, Park Avenue – 17th Street, downtwon Manhattan – die informellen Treffpunkte einer sich entfaltenden internationalen Szene waren die Drehscheiben vielfältigen Austausches.

Schlüsselgestalt oder, je nach Perspektive, Drahtzieher in der grob skizzierten Gemengelage war Konrad Fischer. Als Konrad Lueg hatte er zusammen mit Richter und Polke den „Kapitalistischen Realismus“ erfunden, und den beiden Kollegen im Rheinland manche Tür aufgestoßen. In seiner handtuchgroßen Galerie unweit der Kunstakademie in Düsseldorfs Altstadt stellte er Künstler wie Carl Andre, Sol LeWitt, Bruce Nauman, Dibbets, Weiner, Richard Long, Bernd und Hilla Becher, Douglas Huebler und Hanne Darboven aus. Sie war seit langem der erste deutsche Nachkriegskünstler, der in einer einflussreichen New Yorker Galerie, bei Leo Castelli, ihre erste Einzelausstellung hatte. Fischer war umtriebig und bestens vernetzt. Mit dem einflussreichen Kritiker Strelow, der jetzt Kunsthändler ist, verwirklichte er mehrere Ausgaben von „Prospekt“ in der Düsseldorfer Kunsthalle als Alternative zum Kölner Kunstmarkt mit „progressiverem“ Programm; mit Wedewer die Ausstellung „Konzeption – Conception, mit Zdenek Felix eine Konzept-Art-Ausstellung in Basel und mit mir die Abteilung „Idee und Idee/Licht“ der legendären Szeemann- documenta 5. Er unterhielt intensive Beziehungen zu den Galerien Yvon Lambert in Paris und Gian Enzo Sperone in Turin. Mit dem Italiener und Angela Westwater gründete er eine erfolgreiche Galerie in New York. Zu Germano Celant, dem Impressario der Arte povera, sowie Seth Siegelaub, dem wichtigsten Motor der Conceptual Art, pflegte er freundschaftliche Beziehungen. Die Galerie von Paul Maenz in Köln wird seinen Einsatz bald wirkungsvoll flankieren.

Eine Handvoll Galerien, Kunstvereine und Museen in der westdeutschen Provinz, nicht zu vergessen die Documenta in der nordhessischen Provinz, die jeweils sehr personenabhängig waren, haben den Boden beackert, aus dem am Ende die Groß-Ausstellungen wie „Westkunst“ in Köln und „Von hier aus“ in Düsseldorf die Früchte ernteten. Die kurze Periode des Aufbruchs war vorbei, als sie und ihre vielen Nachfolger eingerichtet wurden. Die Szene hatte sich differenziert. Die spröde Kunst von Minimal- über Land-, Process- bis zur Conceptual Art sowie den performativen und den fotografischen Explorationen begannen die Modi des Künstlerischen zu verändern. „Westkunst“ gemeindete die anti-normativen Erscheinungen der jüngeren Kunst bereits in das Terrain der künstlerischen Moderne ein. „Von hier aus“ in Düsseldorf verstand sich als Bilanz – mit lokalpatriotischer Geste. Der Wind hatte sich zugunsten einer zeitgenössisch avancierten Kunst gedreht, und sie entpuppte sich allmählich als „Erfolgsstory“ (Martn Warnke). Umgekehrt passte sich die Kunst an die Erwartungen an und verzichtete auf ihren anti-kommerziellen Supcon. Mit Ausnahme der Künstler, die vergessen worden sind. Am Horizont war der Hype erkennbar, den die kommerzialisierte Avantgarde, die West-Kunst seit zwanzig Jahren begleitet. Vergeblich versuchte eine Ausstellung wie „Schlaglichter“, die ich für das Rheinische Landesmuseum Bonn im September 1979 organisierte, mit Focus auf die ungeheuer brodelnde rheinische Kunstszene, gegen die sich abzeichnende Umarmung des Unvorhersehbaren und Querliegenden in der Kunst zu steuern. Die Ausstellung hatte Erfolg, doch, um mit Kurt Tucholsky zu sprechen, keine Wirkung. Immerhin absolvierten Thomas Schütte und Isa Genzken darin ihre ersten Auftritte.

Fragt man, was von den vielen Aktivitäten des künstlerischen Aufbruchs in Form von exemplarischen Leistungen am Ende in den deutschen Museen hängen geblieben, ist die Antwort ernüchternd: Nicht eben viel. Am meisten im Museum Mönchengladbach, einiges im Krefelder Museum, und darüber hinaus das, was die privaten Sammler in Deutschland den Museen anvertrauten. Eine der raren Ausnahmen bildet das Kunstmuseum Bonn, das prägnante künstlerische Zeugnisse dieser aufregenden Zeit kontinuierlich für die eigene Sammlung erwarb. Dass mit dem Wolf-Vostell-Konvolut im Leverkusener Museum Morsbroich kürzlich ein Schwerpunkt für den weiterhin unterschätzten Künstler ins Leben gerufen wurde, beflügelt die Hoffnung, dass diese Jahre des künstlerischen Aufbruchs endlich ernsthaft beleuchtet werden. Den Künstlern gaben die frühen Ausstellungen in der „rheinisch-westfälischen Provinz“ entscheidende Schubkraft, wie Thomas Schütte mir kürzlich versicherte und die Monographien von Richter, Immendorff, Kippenberger e tutti quanti es unterstreichen.

Was bleibt sonst? Auf der Habenseite eine nie dagewesene Popularität der zeitgenössischen Kunst. Auf der Sollseite der Verlust der ästhetischen Maßstäbe und die totale Unübersichtlichkeit und Austauschbarkeit des Künstlerischen – falls man den unvermindert verbindlichen Parameter ausblendet: das Geld.

Die Kunst der Antiform hatte als negative ästhetische Praxis den Kanon der Avantgarde als Bezugssystem fest im Blick und rieb sich daran. Im paradoxen Umschlag bestätigten die prozessualen und konzeptuellen Einlassungen diesen Kanon durch ihre Gegnerschaft. Paradigmatisch in diesem Zusammenhang sind die Texte von Daniel Buren, die Duchamp wieder relativierten, und einer Post-Moderne die theoretische Basis bereiteten. Mit ihrer uferlosen Selbst-Referenzialität ist die westliche Kunst der aktuellen Gegenwart demgegenüber zum wohlfeilen Selbstbedienungsladen geworden. Nicht zuletzt, weil das Museum seinen Vorbildcharakter als Institution des ästhetischen Urteils eingebüsst hat, sind die Urinoirs von Duchamp – wie Buren sarkastisch bemerkte – neuerlich an einem Ort, wo sie wie an ihrem einstigen Funktionsplatz nicht (mehr) als ästhetische Herausforderung wahrgenommen werden.

© Klaus Honnef